Während seines Gesprächs mit „t-online“ hat der Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“ und Scholz-Biograf Lars Haider über das gegenwärtige Geschehen in der deutschen Politik gesprochen. Sein Vertrauen in die Ampel-Koalition und Scholz ist im Gegensatz zu früher nahezu verschwunden.
Haider sagte: „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltsführung war ein Wendepunkt.“ Scholz’ „Haushaltstrick“ war seine persönliche Idee. Mit dem Misslingen des Tricks erlitt sein Image daher unheilbaren Schaden.
„Das ist die größte Niederlage in Scholz’ politischer Karriere“, sagte Haider. „Ich bin mir nicht sicher, ob er das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen kann.“
Scholz’ bewarb sich als männliche Merkel
Es sind paradoxerweise die gleichen Eigenschaften, die Scholz einst zum Kanzleramt verholfen haben, die nun seine politische Stellung bedrohen. Es war Scholz größte strategische Leistung vor der Bundestagswahl 2021 zu erkennen, dass die Menschen Merkel mögen und er als männliche Merkel Bundeskanzler werden kann.“
Seither hat Scholz versucht, als „großer Macher“, nicht als „großer Redner“, aufzutreten. In Berlin war allgemein bekannt, dass Scholz rhetorisch vielen seiner eigenen Minister – Lindner oder Habeck zum Beispiel – nicht das Wasser reichen konnte. Dafür hat Scholz sich als nüchterner Denker etabliert, der Pläne peinlich genau durchdenkt und umsetzt.
Seine Unfähigkeit, als gelernter Jurist die eindeutige Verfassungswidrigkeit des Haushaltsplans rechtzeitig zu erkennen, hat ihm den letzten Schutzmantel genommen, der seine Autorität in den Augen vieler bewahrte. Das Image des „großen Machers“ hat dort zum ersten Mal „einen großen Knacks bekommen“, so Haider.
Haider: „Scholz schläft auch als Kanzler tief und fest“
Nun droht mit Scholz’ Glaubwürdigkeit das gesamte Ampel-Bündnis zusammenzubrechen, sagt Haider „t-online“. Wenn das Image des ruhigen Drahtziehers des Kanzlers zerbricht, bleibt nur das Bild einer uneinigen Regierung, in der Minister den Kanzler übertönen.
Scholz muss sich wandeln, um die Ampel zu retten. Doch gerade auf seiner Unwilligkeit, sich zu ändern, hat Scholz seine gesamte bisherige Karriere aufgebaut.
„Er ist so“, sagt Haider. „Olaf Scholz braucht auch keine Hobbys, um herunterzukommen, weil er gar nicht hochkommt.“ Als jahrelanger Begleiter weiß er, dass Scholz selbst während turbulenter G20-Gipfel „sehr ruhig“ schläft. „Er schläft auch als Kanzler tief und fest“, sagt Haider.
Der echte Scholz bleibt hinter den Kulissen
Dass Scholz sich nicht öfter lockerer und authentischer zeigt, ist sehr bedauerlich, sagt Haider. Wenn „die Mikrofone und Kameras ausgeschaltet“ sind, zeigt sich oft ein ganz anderer Scholz: Ein witziger, charmanter und sogar leidenschaftlicher Mensch und Politiker.
Jüngere Journalistenkollegen sind nach Hintergrundgesprächen mit dem Bundeskanzler oft überrascht, und fragen nicht selten: „Wer war das?“
Sein Umgang mit der Augenverletzung, die er sich beim Joggen zugezogen hatte, zeigt jene Eigenschaften, die jetzt in den Vordergrund rücken müssen. Mit seinem selbstkritischen, bodenständigen Humor und dem Tragen der Augenklappe hat Scholz damals „in kürzester Zeit viele Sympathien“ gewonnen.
„Ich glaube, dass er die Augenklappe sogar länger getragen hat, als er hätte müssen“, sagt Haider. Diese lockere Seite muss Scholz jetzt aktivieren, wenn die Ampel überleben will.
Haiders neues Buch beschäftigt sich mit der Sprache von Politikern
Gemeinsam mit dem Chefredakteur der Funke Zentralredaktion, Jörg Quoos, hat Haider das Buch „Der Blabla-Wumms“ geschrieben. In ihm vergleichen die beiden Chefredakteure die Führungs- und Kommunikationsstile erfolgreicher Politiker. Auch über Scholz’ Sprache finden sich in ihm detaillierte und erhellende Analysen.