Die Welt und Deutschland erleben einen neuen Pisa-Absturz. Wie bewerten Experten die Resultate und welche Folgen fordern sie?
Die Leistungen der jungen Menschen in der Pisa-Untersuchung sind so schwach wie nie zuvor. Dies sei “besorgniserregend”, aber nicht unerwartet, waren sich die Berliner Bildungssenatorin und KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU) und Jens Brandenburg (FDP), Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einig. Die Ergebnisse “reihen sich ein in eine Reihe aktueller Bildungsstudien”, erklärte Brandenburg.
„Niemand ist mehr überrascht über dieses Ergebnis“, kommentierte Stefan Spieker, der Geschäftsführer von Fröbel Bildung und Erziehung, Deutschlands größtem überregionalen Kita-Träger. Wie soll die Politik reagieren? Doris Lewalter, die nationale Pisa-Projekt-Leiterin, forderte bei der Präsentation der Resultate unter anderem eine verbesserte Lehrerfortbildung und zielgerichtete Schülerförderung im Vergleich zu bisher.
Es ist entscheidend, den Unterricht kontinuierlich zu verbessern”
“Es setzt sich ein Abwärtstrend fort, der sich bereits in der vorherigen Studie abgezeichnet hat”, so die deutsche Pisa-Chefin. Die Politik müsse erst die Bedürfnisse feststellen und darauf ausgerichtet Mittel bereitstellen, insbesondere hinsichtlich der Sprachförderung, sagte Lewalter. Sie kritisierte auch indirekt, dass einige Förderprogramme wie “Sinus”, die nach dem ersten Pisa-Schock 2001 gestartet wurden, längst eingestellt wurden. “Der Unterricht muss jedoch kontinuierlich verbessert werden.”
Es gab zahlreiche Reaktionen aus der Politik. Die Grundlage für bessere Lernergebnisse möchte Günther-Wünsch künftig bereits in der Kita legen. “Basiskompetenzen können nur durch guten und intensiven Unterricht gefördert werden. Damit müssen wir in den Kitas, im frühkindlichen Bereich, beginnen”, so die KMK-Präsidentin. Für Fröbel-Geschäftsführer Spieker ist das unehrlich. Er fragt sich, warum “ein Bundesprogramm wie die Sprach-Kitas gestoppt und nicht etwa ausgebaut” wird. Die Rechnung zahlt eine weitere Generation von Kindern mit ihren Bildungschancen.
Das BMBF setzt auf das Startchancen-Programm
Bildungs-Staatssekretär Jens Brandenburg setzt große Hoffnungen auf das von der Ampel initiierte Startchancen-Programm, das bis Januar finalisiert werden soll. Im Vergleich zu vorherigen Maßnahmen habe das Förderprogramm eine “andere Dimension. Sowohl in der Länge als auch dem Umfang spiegelt das Startchancen-Programm wider, dass bei Bund und Ländern ein Umdenken stattgefunden hat”. Der Fokus des Programms liege auf der Grundschule, der Förderung der Basiskompetenzen und der datenbasierten Schulentwicklung. Das BMBF bereite auch einen Digitalpakt 2.0 vor.
Einer “Fokussierung auf die Basiskompetenzen erteile ich schon im Voraus eine scharfe Absage”, kontert Gerhard Brand, der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Bildung müsse ganzheitlich gestaltet werden, um erfolgreich zu sein.
Für KMK-Präsidentin Günther-Wünsch ist außerdem von zentraler Bedeutung,dass das Bildungslevel der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften angehoben werden sollte. Auch Francesco Avvisati, Bildungsexperte der OECD, äußerte, dass sich die “Anforderungen an Lehrkräfte verändert haben”. Ein Gutachten zur Lehrkräfteausbildung wird von der Experten-Kommission der KMK am Wochenende vorgelegt.
„Veränderte soziale Struktur der Schülerschaft“
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die die Interessen von Lehrkräften vertritt, betrachtet die Ergebnisse als Spiegelbild des Lehrkräftemangels. Die Priorität liege darin, wieder mehr Lehrkräfte zu gewinnen. Dafür seien “umfassende Anstrengungen erforderlich.”
Ties Rabe (CDU), Bildungssenator von Hamburg, führt die schlechten Ergebnisse hauptsächlich auf die “veränderte soziale Struktur der Schülerschaft” zurück. Sein hessischer Amts- und Parteikollege Ralph Alexander Lorz stimmte Rabe zu und kritisierte zudem den “ungenügenden Stand der Digitalisierung vor der Pandemie”. Seitdem haben wir “jedoch bereits viel aufgeholt. Das spiegelt sich nur noch nicht in den Ergebnissen wider”, äußerte Lorz vorsichtig optimistische Töne.
Von Malte Neumann, Tilmann Warnecke