Die Deutschen sind in Bezug auf ihren klimapolitischen Ehrgeiz unschlagbar: Kein anderes Land hat so rasant aufgehört, Kernkraft zu nutzen, und keines will sich auch so schnell von der Kohle verabschieden.
Diese doppelte Abkehr wurde von der Großen Koalition unter Angela Merkel eingeleitet. Die Ampel unter Olaf Scholz (SPD) hält an dieser riskanten Strategie fest, trotz der erheblichen Veränderungen auf den Energiemärkten aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Risikoreiche Ampel-Strategie zur Schließung von Versorgungslücken
Es ist bedenklich, da es kaum möglich sein dürfte, die Versorgungslücke zu schließen, wenn die letzten Kohlekraftwerke gemäß dem “idealen” Zeitplan der Ampel bis 2030 vom Netz gehen sollen. Die Große Koalition hatte den Kohleausstieg erst für 2035 geplant.
Die Umsetzung des vorzeitigen “Aus” für die Kohle ist leichter gefordert als erreicht. Es fehlt nicht nur an den erforderlichen Mengen an erneuerbaren Energien, sondern auch an den Leitungen, um beispielsweise den im hohen Norden mittels Windkraft gewonnenen Strom nach Süddeutschland zu leiten.
Auch FDP bemängelt den sturen Zeitplan der Ampel
Nicht nur die oppositionelle CDU/CSU, sondern auch in der FDP gibt es Stimmen, die vor einem sturen Festhalten am bisherigen Zeitplan warnen. Dies alles dürfte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) nicht allzu sehr beunruhigen. Opposition zu sein, ist Teil des Geschäfts. Kritiker gibt es in jeder Regierungskoalition.
Allerdings muss Habeck ernst nehmen, dass laut Informationen der “Welt” die Bundesnetzagentur, die ihm unterstellt ist, die vorzeitige Stilllegung von Kohlekraftwerken untersagt hat. Diese Bundesbehörde wird zudem von einem Mann geleitet, der nicht im Verdacht steht, die Energiewende behindern zu wollen.
Im Gegenteil: Der Leiter der Behörde, Wolfgang Müller, ist ein ehemaliger Politiker von den Grünen. Zwischen 2000 und 2005 war er Umwelt- und Landwirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein. Man kann also davon ausgehen, dass er Habecks klimapolitische Ziele grundsätzlich unterstützt.
Abwiegeln der Behörde ist nicht überraschend
Seine Behörde hat nun den Anträgen mehrerer Stromnetzbetreiber zugestimmt, bestimmte Kohlekraftwerke nicht vor dem 31. März 2031 stillzulegen. Das betrifft insgesamt 26 Kraftwerksblöcke und ist somit keineswegs unerheblich. Begründung: Die Anlagen sind “für die Netzstabilität erforderlich” und sollen nur selten in Betrieb sein, da sie als Reserve dienen.
Die Behörde versucht, nicht überraschend, zu beschwichtigen. Bei dieser Genehmigung handele es sich “um einen normalen technischen Vorgang”, heißt es in einer Stellungnahme. Es gehe dabei nur um eine “Vorhaltung der Kraftwerksblöcke in der Netzreserve, also als doppelte Sicherheit”. Das Ziel, bis 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen, sei “dadurch nicht in Frage gestellt.”
Anträge der Netzbetreiber zeugen von Misstrauen gegenüber der Politik
An einem Ziel festzuhalten ist das eine, aber an die Zielerreichung zu glauben, etwas anderes. Wenn Netzbetreiber darauf drängen, Kohleblöcke weiterhin betriebsbereit zu halten, zeugt das von Misstrauen gegenüber der Politik. Die Netzbetreiber halten es wohl für leichtfertig, von 2030 an auf eine sichere und ausreichende Stromversorgung aus erneuerbaren Energien zu setzen.
Wer es für unrealistisch hält, viel früher als 2035 vollständig auf erneuerbare Energien umzusteigen, benötigt Kohlereserven. “Eine Notreserve” in Form von Kohlekraftwerken ist auch nur dann erforderlich, wenn davon ausgegangen wird, dass die eigentlich für die erneuerbaren Energien vorgesehenen Gaskraftwerke bis 2030 noch nicht in ausreichender Zahl verfügbar sein werden.
Die Netzbetreiber handeln nach dem Motto: Optimismus ist gut, Realismus ist besser. Und Habecks Behörde stimmt zu. Für den Klimaminister und die Grünen ist dies ein “Geschenk” unterm Weihnachtsbaum, das wenig Freude bereitet. Darauf hätten sie sicher gut und gern verzichtet.