Die Frage, ob die CDU im Osten – angesichts der Stärke und Radikalisierung der AfD – Koalitionen mit den Linken eingehen sollte, sorgt innerhalb der Partei für Kontroversen.
Die Situation könnte für die Union so unkompliziert sein: Seit Monaten liegen die Zustimmungswerte von CDU/CSU bei etwa 30 Prozent und damit mindestens gleichauf, mitunter sogar über den Werten für die Dreierkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Durch Pannen wie das Heizungsgesetz und die Kürzungen für Landwirte hat die Ampel den Rückhalt in weiten Teilen der Bevölkerung gerade verloren.
Dennoch beschäftigt den Vorsitzenden der CDU ein Thema so sehr, dass er es nachträglich auf die Tagesordnung der Bundesvorstandssitzung seiner Partei gesetzt hat. Die Schwäche der Regierungsparteien führt nicht unbedingt zu einem Vorteil für die Union, sondern begünstigt die in Teilen rechtsextreme AfD. Bundesweit kommen die Blauen auf etwa 20 Prozent, in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen liegen sie vor der CDU.
Merz betont die klare Absage an die AfD
CDU-Chef Friedrich Merz ist deshalb besorgt und betonte vor der Klausur des Bundesvorstands noch einmal deutlich, dass es keine Zusammenarbeit seiner Partei mit der AfD geben wird. Gegenüber der „Rhein-Neckar-Zeitung“ sagte er: „Wir haben dazu eine klare Beschlusslage, die wir an diesem Wochenende noch einmal bekräftigen werden: Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.“
Die Frage ist nun, mit welchen Parteien sich die CDU stattdessen zusammenschließen kann. Wenn Linke und AfD bei den Ostwahlen zusammen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielten, müsste entweder eine der beiden Parteien direkt als Partner einer Koalition oder indirekt als Unterstützerin einer Minderheitsregierung gewonnen werden. Eine Möglichkeit, die Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, vor acht Jahren ins Gespräch brachte, ist die Linkspartei.
Günther äußert sich zurückhaltend zur Linkspartei
Er sagte damals: „Wenn Wahlergebnisse es nicht hergeben, dass ein Regierungsbündnis gegen die Linke gebildet wird, muss die CDU pragmatisch sein.“ Damit meinte er, dass die CDU eine Minderheitsregierung unter Duldung der Linken eingehen könnte.
Günther erhielt damals viel Gegenwind aus seiner Partei. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hält weiterhin an seiner Meinung fest, spricht dies jedoch in der Bundesvorstandsklausur in Heidelberg nicht erneut an.
- „Die Linke ist unzweifelhaft eine demokratische Partei mit einigen wenigen problematischen Mitgliedern in ihren Reihen.“ (Marco Wanderwitz (CDU), ehemaliger Ostbeauftragter der Bundesregierung)
Günthers pragmatische Haltung findet in der heutigen Situation weitere Unterstützer. „So wie die Linkspartei sich in den letzten Jahren entwickelt hat, müssen wir als Union noch einmal neu ausbuchstabieren, ob im Unvereinbarkeitsbeschluss tatsächlich die Linke mit der AfD in einem Atemzug und mit dem gleichen Ergebnis behandelt werden sollte“,
sagte der vormalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Nach seiner Beurteilung hat sich die Linkspartei “gemäßigt”, auch infolge des Ausscheidens von Sahra Wagenknecht. “Die Linke ist zweifellos eine demokratische Partei mit einigen wenigen problematischen Mitgliedern in ihren Reihen”, fuhr Wanderwitz fort.
Die Linke muss um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten
Nach dem Austritt des Flügels um ihr prominenteres Mitglied, müsste die Linke, falls am Sonntag Bundestagswahlen stattfänden, mit Umfragewerten um die vier Prozent bei Neuwahlen um den Wiedereinzug bangen. Ein Papier mit ihren Kernzielen, das die Linksparteivorsitzenden zu Jahresbeginn präsentierten, weist keinerlei Übereinstimmungen mit den Unionsplänen auf.
Außerdem hindert ein Unvereinbarkeitsbeschluss aus dem Jahr 2018 die CDU daran, sich sowohl mit der AfD als auch mit den Linken zu verbünden. Würden CDU-Landesverbände über diesen hinwegsetzen, fürchten viele CDU-Mitglieder, dass die Glaubwürdigkeit ihrer Partei darunter leiden würde: Falls nicht einmal mehr die Absage an die Nachfolgepartei der SED gilt, wofür steht die Union dann noch – außer für den reinen Machterhalt?
Erinnerungen an die “Rote-Socken”-Kampagne
Einige Geschichtsinteressierte erinnern sich noch an die “Rote-Socken”-Kampagne aus den 90er Jahren, mit der die CDU auf Wahlplakaten vor einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Duldung der PDS warnte.
Das Bundesvorstandsmitglied Mike Mohring aus Thüringen thematisiert die Variante einer Minderheitsregierung ebenfalls in der Bundesvorstandssitzung am Freitag. “Um Vertrauen in zuverlässige Politik zu gewinnen, dürfen Wort und Tat nicht auseinanderfallen. Dafür bedarf es Entscheidungen, die von einer Mehrheit getragen werden”, so seine Worte.
Minderheitskonstellationen wie in Thüringen stärken letztlich die AfD”, sagte er dem Tagesspiegel: „Aber auf die Frage, wie angesichts der politischen Lage tragfähige Mehrheiten möglich sein sollen, ist der Verweis auf den Brandmauer-Beschluss keine plausible Antwort.“
“Linkspartei ist trotz allem die Nachfolgepartei der SED”
In der Bundesvorstandssitzung waren Überlegungen wie die von Wanderwitz, Günther und Mohring eindeutig in der Minderheit. Besonders kritisch betrachten das Verhältnis zwischen CDU und der Linkspartei traditionell die Mitglieder aus den alten Westverbänden.
Auch Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Bundestag äußerte sich: “Ich sehe keinen Anlass, um unseren Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linken aufzuweichen. Die Linkspartei ist trotz allem die Nachfolgepartei der SED, sie hat sich noch nicht glaubhaft vom DDR-Unrechtsstaat distanziert.”
Die Zusammenarbeit mit einer sozialistischen Partei führe seiner Meinung nach zu mehr Unzufriedenheit im Land.
Offensichtlich gibt es innerhalb der CDU eine unterschiedliche Wahrnehmung der Linkspartei, Mitglieder der Landesverbände im Osten gehen pragmatischer an die Sache heran. Trotz des klaren Umfragevorsprungs zeigt sich, dass die Christdemokraten intern noch einige Fragen zu klären haben.
Von Christopher Ziedler, Christiane Rebhan