Olaf Scholz’ Ansprache hat die Gemüter in der SPD beruhigt. Doch nun muss die Partei wieder aus ihrer Isolation ausbrechen und der Bundeskanzler kann wertvolle Lehren aus seinem Triumph ziehen.
Die Genossinnen und Genossen zeigen ein wenig Erleichterung. Endlich hat Olaf Scholz geliefert. Seine Rede hat einige Leitlinien gesetzt, die zumindest die SPD mitgenommen und Hoffnung geschürt hat.
Auf dem diesjährigen Parteitag der SPD waren die Sozialdemokraten im Einklang. Kaum interne Diskussionen, Feindseligkeiten oder Schuldzuweisungen. Die Jusos haben obligatorisch etwas Widerspruch geleistet, aber ansonsten wurde eher die Einheit betont anstelle von Zwietracht.
Die Regierungspartei hat sich klar zu der Unterstützung der Ukraine-Hilfen bekannt, sich hinter das Bürgergeld gestellt und die Notwendigkeit erkannt, Veränderungen im Bildungssystem vorzunehmen. Zudem hat Olaf Scholz deutlich gemacht, was für ihn zumindest rötliche Linien in der Haushaltspolitik sind – beispielsweise die Förderung der Halbleitertechnologien. Es ist auch klar: Die SPD will noch einmal den Notstand für den Haushalt 2024 ausrufen.
Das Problem ist jedoch: Die SPD muss nun wieder aus ihrer Isolation ausbrechen. Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) müssen direkt weiterverhandeln, wie der Haushalt 2024 aussehen könnte. Doch dabei geht es um weit mehr als nur um die Verteilung der knappen finanziellen Mittel. Es geht vor allem darum, ob diese Koalition aus SPD, Grünen und FDP überhaupt noch handlungsfähig ist.
Was jedoch, wenn dem nicht so ist? Was, wenn die FDP das Handtuch wirft, um sich als Retterin der Schuldenbremse in die Opposition zu begeben? Springt Friedrich Merz und mit ihm die Union auf den Groko-Zug auf?
Oder bevorzugen alle Neuwahlen in einem Jahr, in dem die AfD mit Werten über 20 Prozent im Bund in Umfragen unterwegs ist und in einigen ostdeutschen Bundesländern, wo auf jeden Fall 2024 gewählt wird, klar vorne liegt? Was für ein Signal wäre es für die parlamentarische Demokratie, wenn sich drei Parteien aus der Mitte der Gesellschaft nicht mehr auf einen gemeinsamen Kurs einigen könnten? Es wäre ein verheerendes Zeichen.
Ein Bundeskanzler benötigt die Unterstützung seiner Partei
Ergo müssen sehr grundlegende Fragen beantwortet werden, die weit über das Wohl der Sozialdemokratie hinausgehen. Das ist keineswegs belanglos. Denn ein Bundeskanzler benötigt die Unterstützung seiner Partei, andernfalls erginge es ihm ähnlich wie beispielsweise Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder.
Scholz ist sich zwar dessen bewusst, dass es in der SPD rumort, jedoch konnte er am Wochenende die Gemüter etwas beruhigen. Insofern war das ein Triumph für den Kanzler. Doch mehr auch nicht.
Dieser Haushaltsstreit ist kein gewöhnlicher Konflikt
Doch er kann daraus gewinnbringende Erkenntnisse mitnehmen. Nämlich, dass Führung sich lohnen kann, auch öffentlich. Gerade weil dieser Haushaltsstreit kein gewöhnlicher ist, wird er sehr genau erklären müssen, wohin seine Koalition dieses Land steuern will. Er wird deutlich machen müssen, wo die Prioritäten liegen. Sliegend und wie das politische Selbstverständnis dieser Koalition aussieht, falls sie andauert. Repräsentiert die Ampel das eiserne Sparsamkeit oder die präzise Investition, die einer Vision folgt, wie Deutschland sich zukunftsfähig macht?
Dafür, auch das kann er aus diesem Wochenende mitnehmen, benötigt es eher den Scholz vom Parteitag als den Olaf aus der Regierungserklärung vor einigen Tagen. Die Schlüsselrolle liegt nun mal bei ihm als Kanzler – vor und hinter dem Vorhang.
Allerdings ist er auch auf seine Partner im wahrsten Sinne des Wortes angewiesen. Hier liegt besonders FDP-Chef Lindner im Fokus. Obwohl bereits einmal, 1966, alle FDP-Minister zurückgetreten sind, weil es Uneinigkeit bezüglich des Haushalts gab, betrachtet sich die FDP grundsätzlich in staatstragender Verantwortung.
Die Grünen sind sicherlich in ihrer Tradition nicht so staatstragend und haben auch deutlich weniger Regierungsjahre vorzuweisen. Wenn jedoch der Ehrgeiz besteht, einmal den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen, werden auch bei ihnen weitere Zugeständnisse erforderlich sein, um ihre Verantwortung für das gesamte Land zu unterstreichen.
Es ist also an der Zeit für alle drei, ein gemeinsames Bild aufzubauen und nicht individuellen ideologischen Grundsätzen zu folgen.
Von Christian Tretbar